Immer wieder suchen Menschen mit Angst und Panik- Attacken nach Hilfe in meiner Praxis. Gehäuft beobachte ich das nach der Corona- Zeit. Deshalb widme ich mich heute diesem Thema. Die Frage ist immer, was man gegen diese Attacken machen kann? Mir stellt sich noch eine weitere Frage: Warum häuft es sich nach der Krise? Oder häuft es sich sogar, weil wir ja schon in den nächsten Krisen sind, Finanzkrise und Krieg?
Für die Antworten auf beide Fragen (Was kann ich tun? Wieso häufen sich im Moment die Fälle mit Angst und Panik?) ist es wichtig zu wissen wie solch eine Panikattacke entsteht, was Auslöser sind und welche Körpermechanismen dazu führen.
Das Verstehen von Zusammenhängen ist gerade bei Angst und Panik der erste Schritt zur Besserung.
Wir haben alle in unserem Körper verschiedene Nervensysteme. Das Zentralnervensystem mit unserem Gehirn und das vegetative/autonome Nervensystem mit dem Sympathikus und dem Parasympathikus/Vagus. Der Vagus besteht aus zwei Anteilen, einem ventralen (vorn verlaufenden) und einen dorsalen (hinten verlaufenden).
Der ventrale Vagus besitzt eine Myelinschicht um die Nervenfasern. Er ist speziell bei den Säugetieren vorhanden und wird auch als System für soziales Engagement bezeichnet. Er kommt zum Zuge, wenn wir uns sicher fühlen, weniger durch Dinge im Außen, sondern im Inneren. Im ventralen Vagus sind wir zu Kontakt und Beziehung fähig, fühlen Bindung und Sicherheit.
Der dorsale Vagus besitzt keine Myelinschicht und stammt noch aus der Zeit der Reptilien. Wenn ein Feind kommt und Kampf oder Flucht nicht mehr möglich sind, dann schaltet sich der dorsale Vagus ein, indem es einen Shutdown gibt, einen Todstell- Reflex, Einfrieren und völlige Aufgabe.
Der Sympathikus ist für Kampf und Flucht zuständig. Im Sympathikus werden Herzschlag und Blutdruck erhöht, wir atmen schneller und tiefer, mehr Nährstoffe und Sauerstoff werden in unsere Muskeln transportiert, alles, um Kampf oder Flucht zu ermöglichen.
Unser autonomes/vegetatives Nervensystem können wir auch als ein Schutzsystem ansehen. Für jedes Lebewesen ist Sicherheit eine wichtige Komponente. Schutz vor körperlicher und psychischer Verletzung, vor Angriff, vor dem Raubtier. Nun sind wir ja heute vor Raubtieren ziemlich sicher, aber es gibt noch wesentlich mehr Gefahren, unter anderem in Beziehungen.
Menschen mit Ängsten und Panik sind in ständiger Anspannung, immer auf der Hut. Sie haben bereits in der Kindheit, damals in der Beziehung mit ihren Eltern und anderen Bezugspersonen gelernt, dass es wenig Sicherheit gibt. War die Bindung zu diesen Personen unsicher, vielleicht sogar durch Liebesentzug, Abwendung oder von Strafe und Gewalt geprägt, so wird dieser Mensch in seinem Leben immer auf der Suche nach Sicherheit sein. Aber auch Unfälle, schwere Operationen oder Krankheiten, mit Aufenthalt in Kliniken, wenig menschlicher Fürsorge, mit Machtlosigkeit, angeschlossen an Maschinen, angewiesen auf Ärzte und Pflegepersonal können traumatisch wirken. Überhaupt wenn Menschen in einer Situation nicht mehr handlungsfähig sind, wenn die Situation sie psychisch und körperlich überfordert, sie dadurch ein Trauma erleiden, entsteht danach eine größere Wachsamkeit und eine erhöhte Suche nach Sicherheit.
In solchen traumatischen Situationen wird das System des sozialen Engagements abgeschaltet und es übernimmt entweder der Sympathikus, wenn Kampf oder Flucht noch möglich erscheinen oder der dorsale Vagus mit Resignation und Aufgabe, Tod stellen.
Bei länger anhaltenden traumatischen Situationen, wie frühkindliche Bindungstraumen, ist es für die Betroffenen schwierig wieder in den parasympathischen ventralen Vagus-Teil zurückzukommen. Sie leben dann mehr in Kampf oder Flucht mit schnellem genervt sein, aggressiv werden und streiten (Sympathikus) oder Rückzug und schnell nachgeben (dorsaler Vagus). Das alles immer auf der Suche nach Sicherheit, obwohl sie es bewusst nicht wahrhaben
Wie in den Worten schon enthalten entsteht es in der frühen Kindheit, im Kleinkindalter, in der Beziehung und Bindung zu den Eltern. Es entsteht, wenn sich die Bindung nicht festigen und zum Positiven gestalten kann. Entweder die Eltern haben nicht genug Zeit oder ein Elternteil ist krank und kann deshalb nicht emotional oder körperlich da sein, durch den frühen Tod eines Elternteils, durch emotionale Unfähigkeit der Eltern, da sie selbst traumatisiert sind. Dem Kind ist es dadurch verwehrt ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu entwickeln, sich selbst gegenüber und anderen in Beziehung.
Später sind das oft Menschen, die lange in einem schlechten Job oder einer schlechten Beziehung bleiben, die keine Veränderungen mögen und wenig soziale Beziehungen haben. Sie spüren ständig Gefahren in zwischenmenschlichen Beziehungen (man könnte auch sagen, dass ihr Körper Gefahren in zwischenmenschlichen Beziehungen wahrnimmt), dies jedoch meistens nicht bewusst. Da kann ein böser Blick schon reichen, um an den strafenden Vater zu erinnern und schon reagiert ihr Körper. Nach und nach können sich Verspannungen und chronische Symptome bilden.
Stell dir vor, dass dein System ständig in Alarmbereitschaft ist, dadurch deine Muskulatur anspannt und dein Stoffwechsel schneller funktioniert, um mehr Sauerstoff und Nahrung in deine Muskeln zu bringen, da du auf Kampf oder Flucht eingestellt wirst. Nur kommt der Tiger nicht. Du läufst weder weg noch gehst du in den körperlichen Kampf. Die Energie staut sich im Körper und nach einiger Zeit gerät dein Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht. Es werden mehr saure Stoffwechselprodukte und freie Radikale gebildet und im Gewebe eingelagert. Die Muskulatur verhärtet, Verspannungen entstehen.
Die angeblichen Gefahren werden über die Sinne (Geruch, Geschmack, Sehen, Hören, Fühlen) wahrgenommen. Aus allen Körperregionen werden Informationen aufgenommen und als gefährlich oder ungefährlich bewertet und weitergegeben. Du hörst eine Stimme und der Klang erinnert dich vielleicht an deine zornige Mutter. Aber auch Mimik und Gestik, Gerüche, sogar ein Geschmack, können an bestimmte traumatische Situationen erinnern.
Die Aufgabe des autonomen Nervensystems ist das Überleben zu sichern. Ist eine Abwendung eines Konfliktes nicht mehr möglich, wird das System für soziales Engagement abgeschaltet. Dann fällt es dir schwer in Beziehung/Verbindung zu bleiben. Du wirst sozusagen in der Zeit zurückversetzt und fühlst wie damals Angst, Bedrohung und vielleicht Machtlosigkeit.
Durch die Sinneswahrnehmungen erinnert der Körper an alte verletzende Geschichten und ist dabei nicht im Hier und Jetzt. Das führt zum Beispiel auch häufig zu Beziehungsproblemen. „Ich denke zu wissen was im anderen gerade vor sich geht, wenn er/sie ein bestimmtes Gesicht zieht oder mich triggert eine bestimmte Aktion des Gegenübers, weil mein Vater es ähnlich tat.“
Wir sind ständig sehr vielen Reizen ausgesetzt. Wenn nun unser System ständig nach Sicherheit sucht, wird es gerade dadurch auch sehr viele Gefahren erkennen. Deshalb leben manche Menschen unter ständiger Anspannung und in beständigem Stress. Das kostet eine immense Kraft und führt zur Überlastung. Wenn unser System ständig auf der Hut vor dem Feind ist, ständig alles scannt und untersucht und es zur Überforderung kommt, dann entsteht eine Panikattacke. Die Angst, die oft unbewusst ist, führt dazu. Was könnte nun diese Angst sein? Angst nicht gut genug zu sein, nicht klug, hübsch, schnell genug, taff genug zu sein. Angst es nicht zu schaffen. Angst abgelehnt und nicht wertgeschätzt zu werden. Angst ausgeschlossen zu werden.
Das sind alles Ängste, die durch Erfahrungen der Kindheit entstehen. Auch diese Ängste sind bei Vielen unbewusst Sie äußern sich jedoch im zwischenmenschlichen Verhalten und werden meistens erst durch psychotherapeutische Arbeit wahrgenommen.
Es gibt einige Menschen, die ihre erste Panikattacke im Supermarkt bekommen. Hier ist man vielen Reizen ausgesetzt, Licht, Geräusche, Gerüche und viele Menschen (Kritiker) auf engem Raum. Wer einmal eine Panik im Supermarkt hatte, wird nicht mehr gerne dorthin gehen. Der Ort und die Gefühle werden verknüpft und abgespeichert. Dadurch wird der Supermarkt zu einem gefährlichen Ort. Der Kopf, also unser zentrales Nervensystem sagt ganz klar, dass der Supermarkt sicher ist und wir keine Angst haben müssten. Das autonome Nervensystem erkannte jedoch eine alte Gefahr und stellt nun eine Verknüpfung her, um uns zu schützen. Was die Angst und Panik dort ausgelöst hat bleibt meistens unklar. War es ein böser Blick einer Kassiererin, ein Geruch, ein Geräusch, die Lautstärke, die Enge oder mehrere dieser Komponenten zusammen?
Bis zu diesem unschönen Moment war der Supermarkt save und nun hat es sich verändert. Alte Erinnerungen haben dazu geführt, dass er nun ein unsicherer Ort ist, jedenfalls für dein System. Das ist die Angst vor der Angst.
Ähnlich kann es auch beim Autofahren passieren. Dann wird immer wieder das Auto oder die Autobahnfahrt mit der Panik in Verbindung gebracht und du hast Angst alleine Auto zu fahren. Dabei geht es meistens nicht um das Autofahren an sich. Es ist nur eben dort das erste Mal passiert. Vielleicht hast du an etwas bestimmtes gedacht oder bist auf dem Weg zu etwas, worauf du keine Lust oder sogar eine Abneigung hast und traust dich nicht abzusagen. Vielleicht hattest du gestern einen Streit mit deinem Partner oder Chef und etwas hat dich erinnert.
Du kannst keine Sicherheit bekommen, wenn du sie im Außen suchst. Du fährst vielleicht nicht mehr Auto oder gehst nicht mehr in den Supermarkt, die Angst wird bleiben und die Panik kommt an einem anderen Ort. Irgendwann gehen Menschen nicht mehr aus dem Haus.
Sicherheit, die dich aus deiner Angst und Panik befreit kannst du nur im Innen finden. Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit dienen der Inneren Sicherheit. Positive und sichere Bindungserfahrungen tragen zur Inneren Sicherheit bei. Hat ein Kind unsichere Bindungen erlebt, wird es sich, in sich selbst und im Leben, unsicher fühlen und mehr Aufmerksamkeit auf das Außen richten. Es sucht sozusagen im Außen nach Sicherheit, da es diese nicht in sich selbst findet.
Hat jemand nicht das Vertrauen und Empfinden in der Welt und in Beziehungen wirksam werden zu können, dort nichts ausrichten zu können, weil sich dieser Mensch anderen gegenüber ständig klein und wertlos fühlt, dann muss er/sie Sicherheit im Außen suchen.
Durch sichere Bindungen in der Kindheit entwickelt das Kind Selbstbewusstsein und fühlt Selbstwirksamkeit.
Was ist jetzt eine unsichere Bindung? Zum Beispiel, wenn Mutter und/oder Vater wenig Zeit für das Kind haben, es viel alleine ist, sich fürchtet und seine Angst nicht beachtet wird. Wenn ein Kind für das was es denkt, fühlt und verwirklichen möchte, Strafe erfährt. Kinder wollen spielen, dadurch lernen sie. Dabei sind sie manchmal laut, wild, hören nicht immer, machen Dinge kaputt und folgen nicht dem Willen der Eltern. Kinder werden kritisiert und bestraft für das, was sie nicht so gut können und werden oft nicht in ihren Talenten und Ressourcen gefördert, gelobt und geschätzt. Sie sind zu dick, zu dünn, zu langsam, zu laut, zu aufgedreht, zu dumm, zu viel. Ihre Ideen und ihr Forscherdrang werden als Blödsinn abgetan oder nicht mal gesehen. All diese Beispiele führen zu einer unsicheren Bindung und zu wenig Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit.
Eine sichere Bindung entsteht, wenn das Kind erfahren kann, dass es gut ist so wie es ist und in seinem Sein unterstützt, wertgeschätzt und gefördert wird. Dadurch entwickelt dieses Kind ein gutes Selbstbewusstsein und fühlt sich in seinem Selbst und seiner Wirksamkeit in Beziehungen und der Welt sicher. Es weiß, was es kann und wert ist.
Deshalb ist es wichtig, gerade bei Angst und Panik das Selbstwertgefühl aufzubauen. Meistens ist dabei therapeutische Hilfe nötig. Alte, erfahrene und tief eingebrannte Glaubenssätze sollten angeschaut, verworfen und neue, positive integriert werden.
Es ist oft nicht so einfach diese Glaubenssätze aufzuspüren, da sie im Unterbewusstsein verborgen sind und nur durch unser Handeln und Denken zum Vorschein kommen. Das Kind von damals darf mit vielen positiven, liebevollen und wertschätzenden Worten, Sätzen und Mitgefühl nachgenährt werden. Dieses Kind von damals lebt noch immer als ein psychischer Anteil in deinem Inneren. Es ist dein Inneres Kind. In therapeutischer Begleitung ist es gleichzeitig möglich, neue, sichere und positive Bindungserfahrungen zu machen, die dem Kind damals nicht möglich waren. Dadurch kann etwas heilen.
Nun noch einmal zu den Fragen vom Anfang dieses Artikels.
Im nächsten Abschnitt folgen dazu ein paar Anregungen. Hilfe im Akut- Fall und Prävention
Im letzten Absatz habe ich geschrieben, dass therapeutische Hilfe nützlich wäre, da so viele Muster und Glaubenssätze unbewusst sind. Mit Hilfe einer erfahrenen Therapeutin/Therapeuten können unbewusste Dinge sichtbar gemacht werden und dadurch Heilung entstehen.
Wichtig ist auch der Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls. Dafür kannst du selbst etwas tun, aber auch hier ist therapeutische Begleitung hilfreich.
Was kannst du selbst zur Steigerung deines Selbstwertes tun? Schau auf dein Leben und schau auf das Kind, dass du einmal warst. Was siehst du da? Was gibt es alles schöne, interessante und liebenswerte zu entdecken? Wie war die Kleine/der Kleine? Sollte dir diese Übung sehr schwerfallen und du wenig oder fast nichts Gutes siehst, dann frage deine Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde. Bitte sie, dir zu sagen, was sie an dir mögen, lieben, schätzen. Besorge dir ein schönes Heft oder ein kleines Buch und schreibe all diese Attribute auf. Lese sie dir täglich durch, schreibe neu gefundene dazu und fang an stolz zu sein, auf deinen reichen Schatz.
Menschen neigen dazu eher das Fehlende wahrzunehmen, als das was bereits Vorhandene. Entscheide dich dafür, ab heute zu sehen, was alles bereits da ist!
In Krisenzeiten wird der gewohnte Alltag, indem man sich eine gewisse Sicherheit geschaffen hat, auf den Kopf gestellt. Menschen mit einem Trauma- Hintergrund können mit Veränderungen nicht gut umgehen, da noch mehr Sicherheit wegfällt. Ihr Gefühl von Sicherheit ist vom Außen, von den Gegebenheiten in der Welt, in ihrer Beziehung, Familie und Freundeskreis abhängig. Mit mehr Sicherheit im Inneren, durch ein gutes Selbstwertgefühl und gefühlte Selbstwirksamkeit, werden Krisenzeiten besser überstanden.
Nutze deine Stimme, singe, mache Töne, erzähle Geschichten, schreie. Immer wenn du Töne von dir gibt, dann atmest du dabei länger aus, was deinen Parasympathikus unterstützt, um wieder mehr Ruhe und Entspannung in dein System zu bringen.
Atme kürzer ein und länger aus. Es ist nicht so unterstützend, wenn du dabei die Sekunden zählst. Mache es nach deinem Gefühl. Atme ein und lasse dir viel Zeit beim Ausatmen. Mache das 5 Minuten und du wirst sehen, dass deine Angst weniger wird und sogar ganz verschwindet.
Bringe dich ins Hier und Jetzt und in deinen Körper zurück, indem du zum Beispiel deine Handinnenflächen massierst. Du kannst auch mit deinen Füßen trampeln, deinen Körper abklopfen oder ausstreichen. Das alles dient dazu dich selbst wieder zu spüren, dein System runterzufahren und in Ruhe zu kommen.
Übrigens sind diese ganzen Maßnahmen auch prophylaktisch gut. Du kannst sie, auch ohne Panik immer mal in deinen Tag einbauen. Sie dienen dazu, dich immer wieder in den Zustand des ventralen Vagus zu bringen, der dir ein Gefühl von Sicherheit gibt.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."