Ich würde es sehr gut und sinnvoll finden, ein Schulfach „Beziehung“ einzuführen oder noch besser „Glückliche Beziehungen leben“. Denn was wir in der Schule nicht gelehrt bekommen, wie man Beziehungen lebt und zur eigenen Zufriedenheit gestaltet. Dabei ist das so wichtig, denn wir leben alle zu jeder Zeit in Beziehungen, zur Familie, Partner, Kollegen, Freunden, Lehrern, Schülern, Chef, Mitarbeitern, Klienten, Therapeuten und so weiter. Es gibt keinen Bereich unseres Lebens ohne irgendeine Art von Beziehung. Am Ende bleibt uns auch noch die Beziehung zu uns selbst.
Zu Beginn unseres Lebens, ganz am Anfang, ist die wichtigste Beziehung zu unserer Mutter und auch zu unserem Vater. Etwas später entdecken wir unsere Geschwister, Oma und Opa, Onkel und Tante, unsere Familie. Dann noch etwas später folgen Betreuer und Erzieher in den Kindereinrichtungen, Trainer beim Sport, Lehrer in der Schule, und der erste Partner.
Wir durchleben die Kindheit und lernen Beziehung von unseren Eltern. Sie sagen uns was richtig und was falsch ist, was wir dürfen und was nicht, wie wir uns zu verhalten haben, welche Gefühle wir leben dürfen und welche nicht. Wie unsere Eltern Beziehung leben und gestalten wird zu einem Maß für unser eigenes Leben. Entweder wir werden es zumindest ähnlich leben, da es sich irgendwie richtig angefühlt hat oder wir werden die Art von Beziehungsgestaltung ablehnen, es unbedingt anders machen wollen, da es sich schmerzvoll und belastend angefühlt hat. Doch Glückliche Beziehungen leben, lernen wir meist nicht von unseren Eltern?
Kinder, deren Eltern sich ständig gestritten haben werden als Erwachsene nach sehr viel Harmonie suchen, Konflikte ablehnen oder diese nicht aushalten. Dadurch werden allerdings Probleme und wichtige Themen nicht angesprochen oder geklärt. Unzufriedenheit kehrt ein und es wird immer wieder zu Streit kommen, der wiederum nicht ausgehalten und geklärt wird, ein Teufelskreis.
Kinder deren Eltern nie gestritten haben, die immer alles unter den Tisch gekehrt haben, bei denen eine „Scheinharmonie“ herrschte, werden es ähnlich leben. Als Erwachsene werden auch sie kaum Probleme ansprechen, gute Miene zum bösen Spiel machen und eher alles in sich hineinfressen. Doch das Fass ist irgendwann voll und dann folgt das Überlaufen in Form von plötzlicher und unerwarteter Entladung, worauf Selbstkritik und Schuldgefühle folgen oder in Form von plötzlicher Trennung. Statt radikal ehrlich in Beziehung zu gehen wird die Beziehung auf eine radikale Art beendet.
Auch unser Frauenbild und unser Männerbild entstehen in der Kindheit. Wie haben wir Mutter und Vater erlebt, war einer eher schwach und der andere dominant? Hat sich einer der beiden untergeordnet und der andere die führende Rolle übernommen? Wenn der Vater das Geld heimgebracht und damit finanziell für die Familie gesorgt hat, wird es der Sohn ähnlich machen wollen. Es fühlt sich dann wahrscheinlich richtig an, dass auch er die versorgende Rolle übernimmt aber weniger die emotional versorgende als die finanziell und materiell versorgende Rolle. Damals war der Vater sicherlich wenig anwesend, da er viel gearbeitet hat. Die Mutter hat die Pflege und Betreuung der Kinder übernommen. Wie wäre es einmal in die eigene Kindheit und Familie zurück zu schauen? Wie war das damals und was habe ich als innere Glaubenssätze übernommen? Glückliche Beziehungen leben, konnten das meine Eltern?
Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Beide Eltern hatten einen Beruf und haben darin voll gearbeitet. Emotional war mein Vater mehr da und hat neben der Materiellen Versorgung auch einen großen Teil des Haushaltes übernommen. Mein positives Männerbild ist meinem Vater sehr ähnlich, ein Mann der emotional und fürsorglich ist, zudem seinen materiellen Beitrag leistet und auch im Haushalt hilft. Ich hätte mir nicht vorstellen können mit Kindern zuhause zu bleiben, Hausfrau und Mutter zu sein. Meine eigene Berufung und mein Beruf sind sehr wichtig für mich. So haben es meine Eltern, meine Mutter vorgelebt.
Meine Eltern gehörten zu der Sorte, die sich ständig gestritten haben. Glückliche Beziehungen leben, gehörte nicht zu ihrer Stärke. Meine Mutter war cholerisch und mein Vater versuchte in der Deckung zu bleiben, nur keinen cholerischen Anfall zu provozieren. So fraß er viel in sich hinein, tolerierte so manche Szene, machte sich klein und unsichtbar. Männliche Kraft, die sich durchsetzt und klar für sich steht, auch wenn es dabei Diskussionen gibt, lernte ich in meiner Kindheit nicht kennen. Später suchte ich mir unbewusst eher schwächere Männer, gegen die ich mich stark fühlte oder kam mit der männlichen klaren Kraft nicht klar und zog mich zurück, passte mich an und wurde dabei unzufrieden. Was ich damals noch nicht wusste, dass ich diese Kraft „voll und ganz in Beziehung zu gehen, Konflikte zu durchleben und dabei gut für mich zu stehen“ selbst in mein Leben bringen sollte. Es war einfacher sich anzupassen, um den Konflikten und damit der Gefahr nicht richtig für den Anderen zu sein, der Gefahr der Trennung, aus dem Weg zu gehen. Ich machte es meinem Vater nach und bemerkte es lange Zeit nicht. Glücklich war ich in diesen Beziehungen nicht, jedenfalls nicht lange. Ich suchte nach einer klaren, starken und liebevollen männlichen Kraft, die ich in diesen Beziehungen nicht fand.
So suchen wir alle in unseren Beziehungen etwas, dass uns in der Kindheit nicht zuteilwurde. Wir suchen nach Liebe, wollen gesehen und gehört, wirklich wahrgenommen und vor allem angenommen werden, so wie wir sind. Letzteres ist jedoch schlecht möglich, wenn wir uns nicht zeigen wie wir sind, uns verstellen und anpassen aus der Angst heraus nicht richtig zu sein.
Wir zeigen uns von unserer besten Seite, zeigen uns, wie wir meinen, dass der Andere uns so am meisten mag, akzeptiert und liebt. Wir machen uns stark, zeigen uns hart, obwohl wir vielleicht gerade unsicher sind oder Angst haben. Wir gehen Kompromisse ein, obwohl wir in uns eher einen Widerstand spüren. Wir sagen ja und spüren in uns ein Nein. Manche Menschen leben komplett das Leben des Anderen, geben alles oder viel von sich selbst auf, um zu gefallen. Doch wenn wir so in Vorleistung gehen erwarten wir das früher oder später auch von unseren Partnern. Wir erwarten, dass sich auch der Andere für uns aufgibt. Macht er das nicht, sondern bleibt gut bei sich, fangen wir zu nörgeln an, werden unzufrieden, kritisieren oder ziehen uns zurück. In der Kindheit lernen wir ziemlich schnell, dass es gut ist den Erwartungen der Eltern zu entsprechen, da dadurch mehr Liebe fließt. Dieses Muster nehmen wir später in unsere Paarbeziehungen mit und entwickeln natürlich auch Erwartungen an unsere Partner.
Das Anpassen und die Erwartungen sind ein sehr häufiger Grund, warum Paare Hilfe suchen. „Mein Partner versteht mich einfach nicht“ kann man auch mit „Mein Partner macht nicht das was ich erwarte“ übersetzen.
Wir kommen alle aus verschiedenen Familien, haben verschiedene Arten der Kindheit durchlebt, unterschiedliche Werte und Glaubenssätze mitbekommen und ganz eigene Erfahrungen gemacht. Dadurch sieht jeder Mensch die Welt subjektiv, durch seine eigene Brille der Wahrnehmung. Ich bezeichne es gern als verschiedene Welten, in denen wir dadurch leben. Die meisten denken, dass die Wahrnehmung und die Weltsicht des anderen doch genauso wie die eigene sein müsste. Das ist eine Fehlannahme und führt zu Missverständnissen und Streit in Beziehungen. „Glückliche Beziehungen leben“ braucht ein Stück Toleranz, neugierig in die anders scheinende Welt des Partners zu sehen, sie als ebenfalls richtig zu werten und zu schätzen, wie die eigene, bekannte Welt.
All diese wichtigen Kenntnisse bekommen wir nicht in der Schule vermittelt. Erst durch die Schule des Lebens, indem wir Konflikte in unseren Beziehungen durchleben, uns hilflos fühlen und uns vielleicht therapeutisch helfen lassen, bekommen wir die Change unsere Beziehungen glücklich und erfolgreich zu gestalten.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."