Ein Nein zum Gegenüber ist ein Ja zu Dir selbst. So heißt es. Trotzdem ist es für viele Menschen sehr schwer Grenzen zu setzen, zu sich selbst zu stehen und an den richtigen Stellen Nein zu sagen. Kann man Nein sagen lernen?
Oder sagen wir es anders, ein Ja wird oft viel zu schnell gesagt obwohl, bei näherem und gutem Hinfühlen, ein Nein stehen müsste.
Manche Menschen merken erst später, dass sie sich selbst übergangen haben und ärgern sich. Das ist noch die bessere Variante, da sie dann, mit etwas Mut, revidieren können.
Andere Menschen nehmen es nicht bewusst wahr. Sie fühlen nur eine latente Unzufriedenheit und Gereiztheit.
Es gibt in jedem Menschen einen, meistens unbewussten psychischen Anteil, der sich in einer schwierigen Lebensphase der Kindheit nicht weiterentwickeln konnte. Dieser Anteil wird auch unser „Inneres Kind“ genannt.
Er repräsentiert das Kind von damals, dass sich anpassen und gehorchen musste, um geliebt zu werden. Ein Kind, das vielleicht viel alleine war, das stets in seine Grenzen gewiesen wurde, das nur unter Bedingungen geliebt wurde und schon früh gelernt hat, dass sein eigener Wille keinen Raum bekommt.
Da dieser Teil noch immer in der Vergangenheit lebt, fühlt er auch noch genauso wie damals. Er trägt die alten Glaubenssätze in sich und handelt daraus.
Sagt eine Person zu schnell Ja, kann sie keine oder schlecht Grenzen setzen, nicht Nein sagen, passt sich an und verliert sich dabei selbst, so geschieht das aus diesem Inneren Kind heraus.
Mutter und Vater haben es nicht zugelassen ein selbstbestimmtes Leben zu führen, da sie die Bestimmer sein wollten. Das geschieht in den meisten Fällen nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie dachten, dass es so besser sei für das Kind. Wahrscheinlich sind sie selbst schon als Kind dominiert und bestimmt worden.
Wenn ein Kind häufig kritisiert und bestimmt wird, ist es ihm später nicht möglich ein selbstbestimmtes Leben zu führen und einen gesunden Selbstwert zu entwickeln. Doch dieser gesunde Selbstwert ist die Voraussetzung, dass ein Mensch zu sich stehen und an den richtigen Stellen Nein sagen kann.
Die Eltern haben es nicht vorgelebt und dem Kind nicht die Kraft und das Vertrauen dazu mitgegeben. Es fehlt das Vertrauen die eigene Wahrheit, die eigenen Wünsche, Vorstellungen und Meinungen klar zu vertreten und trotzdem oder gerade deswegen geliebt zu werden. Es fehlt das Vertrauen sich selbst voll und ganz zu leben, nach den eigenen Gefühlen Ja und Nein zu sagen und dadurch den anderen nicht zu verärgern oder sogar zu verlieren.
Vieles, das in der Kindheit schief gegangen ist kann geradegerückt werden und vieles, das in der Kindheit gefehlt hat kann nachgenährt werden. Das geschieht natürlich nicht mehr durch unsere Eltern, da wir ja jetzt Erwachsene und vielleicht schon selbst Eltern sind. Es kann nur durch uns selbst geschehen, durch den Erwachsenen-Anteil, der ebenfalls in und durch uns lebt.
Damals wäre eine gute Tante oder ein guter Onkel wichtig gewesen. Sie hätten das Kind in seiner persönlichen Entwicklung unterstützen können. Sie hätten ihm sagen können wie toll es ist, dass es absolut in Ordnung ist Wünsche und Vorstellungen zu haben und zu äußern, dass es erlaubt ist für sich selbst zu stehen und für sich zu sorgen. Diese Unterstützer und „Erlauber“ gab es damals nicht. Darum ist es jetzt höchste Zeit dem Kind von damals, dem Inneren Kind all das zu sagen, all das zu geben und sich damit selbst eine gute Mutter oder Tante zu sein.
Kinder sind von ihren Eltern abhängig. Sie brauchen Nahrung, Schutz und vor allem Liebe. Für diese Dinge geben Kinder alles, sie passen sich an und werden hörig, schmeißen ihren eigenen Willen und ihre eigene Meinung über Bord und geben sich selbst am Ende auf.
Doch die Kindheit ist nun vorbei. Jetzt sind Sie erwachsen. Sie können ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und sich selbst mit Nahrung, Wohnraum, Schutz und Liebe versorgen. Sie sterben nicht mehr ohne die Eltern!
Dieses Wissen ist die Voraussetzung für den Mut Nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Selbst wenn sich dadurch jemand verletzt fühlt und sich zurückzieht werden Sie überleben. Da können Sie ganz sicher sein. Natürlich ist es schmerzhaft eventuell einen Menschen zu verlieren aber Sie werden es verkraften, da es nicht mehr essentiell ist. Und mal ganz ehrlich, was für eine Beziehung ist das denn, die zerbricht, weil Sie zu sich stehen und sich ganz leben? Auf diese Art von Beziehung würde ich verzichten, da diese wiederum sehr einseitig ist und der andere Sie in Ihrem Wesen nicht toleriert und wertschätzt, ähnlich wie die Eltern damals.
Es gibt viele gute Bücher zum Thema Nein sagen und auch zum Thema Selbstwert. Die Informationen darin finde ich gut, nur wirken diese auf der kognitiven Ebene. Zur Heilung braucht es Gefühle, Mitgefühl und Zeuge werden für die „Missstände“, Verletzungen und den Mangel damals. Der Anteil möchte endlich für „wahr“ genommen werden.
Um in diese Verbindung mit dem Inneren Kind zu kommen, mit all den schönen Seiten und auch den Schattenseiten, Mitgefühl entwickeln zu können, ist oftmals therapeutische Hilfe notwendig. Denn neben dem Inneren Kind und dem Erwachsenen gibt es auch den Kritiker oder auch „Eltern-Ich“ genannt. Dieser Anteil verhält sich wie die Eltern damals, kritisiert und gängelt, nörgelt und meint zu wissen was gut und was schlecht ist.
Er hockt an der Grenze zur neuen Erfahrung von Selbstbestimmung und sorgt dafür das mutige Ziel nie zu erreichen.
Viele Menschen lesen Dutzende gute Bücher und kommen nicht vorwärts. Das neue Wissen fühlt sich gut an, scheitert aber immer wieder in der Praxis von wirklichen Beziehungen. Die Themen Selbstwert, Nein sagen und Grenzen setzen dürfen, sind tiefe psychische Themen. Sie haben eine klare Herkunft und einen wichtigen Prozess in Richtung Zukunft.
Seien Sie es sich „selbst Wert“ und lassen Sie sich unterstützen. Das ist der Start zum JA zu sich selbst und Nein sagen nach außen.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."