Die Angst hat viele Facetten. Da gibt es die „bestimmte Angst“, vor ganz speziellen Dingen und Ereignissen, die benannt werden können. Die Angst vorm Fliegen, Aufzug fahren, Einkaufen, Menschenmengen, vor Tieren, Schmutz, Viren, Hunger, Erkrankungen und vieles mehr. Es gibt auch die unbestimmte Angst. Sie taucht quasi aus dem Nichts auf. Es liegt kein bestimmter Grund dafür vor. Meistens gibt es trotzdem einen Auslöser, der jedoch unbewusst ist. Das kann ein Geruch sein, eine bestimmte Situation, ein Wort oder die Reaktion eines anderen. Unser Körper reagiert darauf mit einem Alarmzustand.
In beiden Varianten der Angst, wenn unser Körper reagiert, werden bestimmte Botenstoffe ausgesendet, wie Cortisol und Adrenalin, die uns zur Verteidigung und zum Schutz unterstützen sollen.
In früheren Zeiten war diese Körperreaktion lebensnotwendig, falls der Tiger, als Bedrohung, um die Ecke kam. Heute müssen wir uns nicht mehr vor dem Tiger schützen. Unser Körper gibt aber die gleichen Signale und bringt die gleiche Reaktionskette in Gang, wenn es scheinbar andere Bedrohungen im Außen gibt.
Das vegetative Nervensystem, speziell der Sympathikus schickt nun die Botenstoffe Adrenalin und Cortisol los. Durch diese werden wir unterstützt in den Kampf- und Fluchtmodus zu gehen, also entweder uns zu verteidigen oder auszureißen. Eine Menge Energie wird bereitgestellt. Unsere Muskulatur bekommt viel Zucker und Sauerstoff geliefert, um Kampf oder Flucht realisieren zu können. Der Herzschlag und der Blutdruck erhöhen sich, um möglichst schnell die Lieferung der Energie an die Muskulatur zu ermöglichen. Die Verdauung wird eingestellt, die zum Parasympathikus gehört, wird eingestellt. Jetzt geht es ums Überleben, verdaut und geruht kann später werden.
Bei der Angst bemerken die meisten Menschen körperliche Symptome, die aus den o.g. Körperreaktionen des Sympathikus entstehen. Es können Herzrasen, Schwindel, Schweißausbrüche und starke Unruhe auftreten.
Menschen möchten ihre Ängste am liebsten verbannen, sie nie mehr spüren. Aber die Angst lässt sich nicht einfach so wegschieben. Sie kommt immer wieder und fordert uns heraus, genau hinzusehen. Sie möchte wahrgenommen, erkundet und angesehen werden.
Die Angst gehört zu ihnen, ist ein Teil von ihnen, den sie noch nicht ganz zu sich nehmen. Das klingt vielleicht etwas verrückt für einige Menschen, aber es ist ein sehr wichtiger Punkt, wenn sie aus der Opferrolle ihrer Angst aussteigen möchten. Umso mehr sie sich klein machen und in die Opferrolle gehen, umso größer und mächtiger wird ihre Angst.
Es werden viele verschiedene Bewältigungsstrategien bei Angst angeboten, die aus meiner Erfahrung aber nur kurzzeitig wirken.
Sie können sich Ihrer Angst immer wieder stellen, indem Sie diese provozieren, also die Dinge, die Angst auslösen, möglichst extra und oft tun. Sobald Sie damit aufhören, wird Ihre Angst wieder größer werden. Außerdem ist das sehr anstrengend und Energie raubend.
Es gibt die Möglichkeit Psychopharmaka einzunehmen. Dadurch wird Ihre Angst unterdrückt durch die Ausschüttung von mehr Glückshormonen (Serotonin). Nach Absetzen dieser Mittel kehren die Ängste in den meisten Fällen zurück.
Sie können sich ein paar Verhaltensstrategien zulegen, um der Angst etwas gelassener zu begegnen. Das finde ich noch am liebevollsten, denn hier kämpfen Sie wenigstens nicht gegen die Angst an. Aber auch in diesem Fall wird die Angst bleiben. Sie lernen nur besser damit umzugehen.
Was hilft nun wirklich und nachhaltig bei Ängsten? Dazu einige Erklärungen, woraus die Angst entsteht.
Das Kind von damals, das noch immer in uns lebt, als einer unserer Persönlichkeitsanteile, hat gelernt, dass es nichts zu sagen hat, nur ein kleines Licht ist, sich anpassen muss und möglichst seinen Mund hält. Aber sich klein machen (klein gehalten werden) macht Angst. Die Erfahrung der Macht im Außen (Eltern, Erzieher), ist nun auch in uns und bildet ebenso einen Persönlichkeitsanteil. Dieser ist ein mächtiger Kritiker, Unterdrücker, Richter, der uns zwingt, klein zu bleiben, um genügend sicher zu sein. So gibt es in uns einen Anteil, der groß und mächtig erscheint und uns immer wieder dazu bringt, möglichst nicht aufzufallen, lieb und nett zu reagieren und uns klein zu machen, unsere wahre Größe nicht zu leben. Es gibt den Anteil des Kindes von damals (inneres Kind), das dem kritischen Anteil glaubt und eingeschüchtert, zurückhaltend und angepasst reagiert.
Im Leben reagieren wir aus beiden Anteilen. Entweder wir fühlen uns klein, suchen nach Liebe und Geborgenheit, passen uns dafür sehr an, gehen in die Opferrolle, bekommen Ängste und Depressionen oder wir gehen in die Rolle des Unterdrückers und bestehen auf unser Recht und kritisieren andere im Außen.
Beides wird uns im Leben nicht glücklich machen. Die Arbeit mit diesen zwei Anteilen ist wichtig.
Was in unserem Inneren geschieht, können wir auch in der Welt sehen. Da gibt es Mächte (Staat, Politik, Chef, Partner, Erkrankungen…) gegen die wir scheinbar nicht ankommen, wo wir uns machtlos fühlen und hilflos werden, solange wir in der Opferrolle bleiben. Um aus dieser Rolle auszusteigen und in die Selbstermächtigung zu gehen, braucht es die Unterstützung des noch immer angepassten, hilflosen und sich klein machenden Anteils des Kindes von damals (Inneres Kind).
Was können wir nun tun?
Stellen Sie sich vor, Ihre Angst wäre eine Figur, aus der Geschichte, Film, Natur oder Comic!
Wie ist diese Figur, was hat sie für Qualitäten? Was kann sie richtig gut? Hat sie vielleicht eine große Kraft? Steht sie vielleicht ganz, klar und radikal für sich selbst ein? Kann sie gut Grenzen setzen?
Versuchen Sie im nächsten Schritt einmal selbst zu dieser Figur zu werden, verkörpern Sie die Figur! Spüren Sie mit Ihrem ganzen Sein, wie es ist, diese Qualitäten zu besitzen!
Wenn Sie sich ein klein wenig von der Qualität dieser Figur nehmen könnten, wo wird diese in Ihrem Leben benötigt? Was würde sich in Ihrem Leben verändern, wenn Sie diese Qualität mehr leben?
Diese Übung soll eine Anregung sein. Sie kann Ihnen helfen, den ersten Schritt aus Ihrer Angst zu gehen.
Für viele Menschen ist es nicht einfach sich Hilfe zu holen. Manchmal muss das Leiden erst unerträglich werden, um den ersten Schritt zu wagen.
In unserer westlichen Gesellschaft wird noch immer therapeutische Hilfe als letzter Ausweg gesehen. Psychotherapie hat eine negative Bedeutung. In anderen Kulturen ist psychologische Hilfe genauso selbstverständlich wie zum Physiotherapeuten zu gehen. Bei dem einen wird der Körper unterstützt und bei dem anderen die Psyche. Sie gehören zueinander und sind nicht trennbar.
Ängste im Alleingang zu überwinden ist schwierig und kann in Hilflosigkeit und Depression enden. Lassen sie sich professionell unterstützen! Sie sollten es sich wert sein.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."